Quantcast
Channel: Nachtleben – Stadtblog
Viewing all 92 articles
Browse latest View live

Mr Polizeistunde

$
0
0
Will die Uhr zurückdrehen. Bis zur Polizeistunde: Kurt Fluri

Will die Uhr zurückdrehen. Bis zur Polizeistunde: Kurt Fluri

Seit seinem Amtsantritt als Präsident des Schweizerischen Städteverbandes SSV im 2013 wird der Solothurner Stadtpräsident Kurt Fluri nicht müde, eine Rückkehr zu alten und altertümlichen Polizeistunden zu fordern: «Die nächtliche Sauferei muss gestoppt werden!».

Auch im Zuge der aktuellen Nachtleben-Diskussion, angestossen von der Luzerner Regierung, die ihren Umgang mit dem Nachtleben auf dem Stand von 2012 einfrieren will (Erhalt und Förderung der Clubkultur, längere Öffnungszeiten aber nur noch mit einer auf ein Jahr begrenzten Bewährungsfrist), fordert Fluri härtere behördliche Auflagen für Clubs und Bars, wenn ihm ein Zuhörer diese Möglichkeit bietet.

Fluri hat sich in den letzten anderthalb Jahren als Vorkämpfer für mehr Ruhe im Nachtleben profiliert und ist zum unerschrockenen Ritter all jener Schweizer Stadtbewohner geworden, die ihren Geräuschpegel auf ländlichem Niveau mögen, die aber nicht bereit sind, aufs Land zu ziehen. Fluris Kampf ist geprägt von Widersprüchen und Ungereimtheiten: Er ist Mitglied der FDP und seine Forderung nach mehr Auflagen fürs Nachtleben widerspricht dem liberalen Grundgedanken seiner Partei.

Fluri ist Stadtpräsident von Solothurn und das dortige Nachtleben darf, nicht zuletzt dank seines Wirkens, als unbedeutend, ja geradezu lachhaft, bezeichnet werden. Schlussendlich widerspricht seine Einstellung zum Nachtleben auch noch den Bemühungen, dem neu erwachten Bestreben der meisten Schweizer Städte, ihr Nachtleben zu erhalten und gar zu fördern: In Zürich wurden Projektteams unter der Leitung von Polizeichef Richard Wolff gegründet, die Brücken zwischen Clubs, Bars und Anwohnerschaft bauen sollen und Stadtpräsidentin Corine Mauch bekennt sich in einer Rede klar zum Nachtleben und einer Gesellschaft, die nächtens nicht nur schläft.

In Basel signalisiert der Regierungspräsident Guy Morin nach der Schliessungsankündigung diverser Clubs Bereitschaft, die „vorhandenen Regelungen einer Prüfung zu unterziehen“ (Basler Zeitung vom 9. April). In Bern nimmt Stadtpräsident Alexander Tschäppät am von der Bar- und Clubkommission und dem Verein Pro Nachtleben Bern organisierten Tag der offenen Clubtür teil und die Thuner Regierung will die Lärmvorschriften in der Innenstadt lockern (Berner Zeitung vom 25. April).

Und was will Kurt Fluri? Schliessungszeiten für Clubs um 2 (allerspätestens 4) Uhr, obschon die heutigen Clubber nicht mehr vor Mitternacht aus dem Haus gehen – in Solothurn einen Club zu eröffnen, ist mittlerweile sinnlos. Klar: Die meisten Stadtregierungen tun sich immer noch sehr schwer mit ihrer Clubkultur, haben aber die Zeichen der Zeit doch erkannt und eingesehen, dass sie es mit einer gesellschaftlichen Entwicklung zu tun haben, die sich nicht mehr stoppen lässt und beginnen darauf einzugehen und nach Lösungen für die damit einhergehenden Probleme zu suchen, ohne das Nachtleben als Ganzes verhindern zu wollen.

Daher stellt sich nicht nur die Frage, ob Kurt Fluris unliberale Haltung dem Wirtschaftszweig Nachtgastronomie gegenüber noch jener der FDP entspricht, sondern auch jene, ob er sich als Präsident des SSV mit seiner rigoros restriktiven Haltung auf einer Linie mit den Schweizer Stadtregierungen befindet.

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Blok und Zukunft.


Langstrasse: Das Dilemma des Erfolgs

$
0
0
Erstickt an ihrem Erfolg: Die Langstrasse

Erstickt an ihrem Erfolg: Die Langstrasse

Seit einigen Tagen tobt ein Streit um die Langstrasse durch die einschlägigen Zürcher Foren. Dabei gibt es drei Fronten: Die einen wollen das Quartier wieder wie vor zwanzig Jahren haben, den schäbigen Charme, die Authentizität. Andere setzen sich fürs florierende Nachtleben ein, und Dritte wiederum versuchen mit Aufwertung und Gentrifizierung Profit aus der Anziehungskraft dieser Ecke zu schlagen.

Angefacht wurde die Diskussion von einem Appell von 115 Anwohnern an den Stadtrat, in dem sie sich über die Lärmbelastung des Quartiers beschweren.

«Wer keinen Lärm verträgt, sollte vielleicht nicht in der Stadt wohnen», meinen dagegen zahlreiche Facebook-User zu den Lärmklagen rund um die Langstrasse. Eine entsprechende Petition hat bereits mehr als 2000 Zeichner. Aber so einfach ist es nicht. Einerseits, weil viele der Langstrassenbewohner nicht erst – wie die ständig durchziehenden Hipster – seit vier oder fünf Jahren dort wohnen, sondern schon vor dieser Entwicklung ihre Heimat da hatten, andererseits, weil sich das Nachtleben dort in den letzten zehn Jahren verändert hat.

Aus der früheren Clubkultur ist inzwischen eine Club-Industrie erwachsen. Es sind nicht mehr einige Hundert Partygänger, die gerne in der Nähe des Milieus feiern, es sind jedes Wochenende Tausende, die auf der Suche nach Abenteuer und Spass Geld, Gewalt und Urin ins Quartier tragen. Und wie überall, wo Geld verdient werden kann, formiert sich eine Lobby, die diese Quelle weiter ausbeuten möchte.

Das ist nicht nur ein Problem der Langstrasse, die durch ihre Atmosphäre, durch ihre Echtheit, seit Ende der Neunziger Menschen anzieht, die hier etwas Grossstadtluft schnuppern wollen. Es ist das Problem aller attraktiven Orte weltweit. Ob Rimini in den 60ern oder Koh Phangan mit seiner Full-Moon-Party in den Nullern, sobald ein Platz hip wird, dauert es nicht lange, bis er als wirtschaftlicher Faktor ausgebeutet wird. Nur, genau diese Entwicklung bringt den Geist, der sie hervorgebracht hat, um. Es ist, als ob man einen alten Tante Emma-Laden entdeckt und dann schnell zum Einkaufszentrum umbaut, um möglichst vielen Leuten das «echte» Tante Emma-Feeling zu verkaufen.

Das Paradoxe an der Langstrasse ist, dass sich die Bewohner nicht wirklich gegen die Entwicklung wehren können. Engagieren sie sich gegen das Nachtleben, unterstützen sie indirekt die Quartierberuhigung und damit die Gentrifizierung, was letzten Endes darauf hinausläuft, dass sie sich die Mieten nicht mehr leisten können (zu sehen kürzlich an der Weststrasse). Lassen sie dem Wildwuchs der Vergnügungsindustrie freien Lauf, sinkt ihre eigene Lebensqualität Wochenende für Wochenende.

Mittel- bis langfristig ist die Langstrasse in ihrer heutigen Attraktivität wohl nicht zu retten. Sie wird eine ähnliche Entwicklung durchmachen, wie schon das Niederdorf. Wenn sie endgültig zur Konsummeile – egal ob H&M oder Clubs – geworden ist, wird von den Menschen, die jetzt den Charme der Gegend ausmachen, keiner mehr da leben oder feiern wollen. Und viele werden es sich nicht mehr leisten können.

Zum Trost: Es werden andere Quartiere entstehen, die auch Seele und Anziehung besitzen werden. Und auch diese werden, sobald von Leuten entdeckt, die diese Atmosphäre in bare Münze umwandeln wollen, wieder untergehen. Das nennt man Stadtentwicklung.

Wem gehört die Stadt?

$
0
0
Haben Clubbesucher und die Nightlife-Industrie gleich viele Rechte wie die Anwohner?

Haben Clubbesucher und die Nachtschwärmer gleich viele Rechte wie die Anwohner?

Eine Stadt lebt nicht nur in den Wohnungen ihrer Bewohner. Sie lebt in ihren Strassen, ihren Cafés, ihren Bars und Clubs. In den meisten Grossstädten existieren «Problemviertel», wobei es meist eben diese Gegenden sind, die durch ihre Quirligkeit dafür sorgen, dass eine Grossstadt als solche wahrgenommen wird.

Oft sind es die Epizentren der Nachtgastronomie, die unter der zweifelhaften Überschrift Problemviertel eingeordnet werden. Dass der Lärmpegel in solchen Vierteln höher ist als anderswo, liegt in der Natur der Sache und dass eine Stadt ein lebendiges Nachtleben braucht, dürfte mittlerweile nicht mehr Ausgangslage der Diskussion sein: Die Lebensentwürfe der Menschen haben sich in den letzten Jahrzehnten dahingehend verändert, dass auch Eltern in der Mitte ihres Lebens ihren Nachwuchs gerne mal in Obhut von deren Grosseltern geben, um eine Nacht lang in den Clubs feiern zu können – sie sind mit der elektronischen Musik aufgewachsen, die heute die Charts bestimmt und deren kreative Quelle noch immer in den Clubs liegt.

Obwohl sie diesem Umstand Rechnung tragen müssten, stellen die Behörden zumeist auch in ihren vom Clubbing geprägten Strassenzügen die Anliegen und Befindlichkeiten der Anwohner über jene der Leute, die diese aufsuchen, um dort eine gute Zeit zu geniessen. Beispiele dafür gibt es viele, so konnte in St. Gallen ein einzelner Neuzuzüger dem traditionsreichen Club Kugl den Betrieb beinahe verunmöglichen, obschon das Kugl nicht in einer Wohnzone liegt, sondern in einer gemischten Wohn- und Gewerbezone. Auch in anderen Schweizer Städten gehen immer wieder einzelne Anwohner erfolgreich gegen Clubs vor, in denen an den Wochenenden Abend für Abend hunderte Partygänger feiern.

Trotz der Zürcher Morgenröte, initiiert durch die klaren Bekenntnisse Corine Mauchs und Richard Wolffs zur städtischen Clubszene, können auch hier ein paar wenige Anwohner mit Beschwerden und Klagen dutzenden Bars und Clubs das Leben schwer machen. Aktuell versuchen dies gerade 115 Bewohner der Langstrasse, die mit einem eingeschriebenen Brief den Stadtrat auffordern, etwas gegen den Lärm und Abfall, verursacht durch den allnächtlichen Partybetrieb, zu unternehmen und das, obschon die Nachtleben-Betriebe an der Langstrasse das Milieu erfolgreich zurückgedrängt haben, ganz so, wie von der Stadtplanung wohl vorgesehen.

Die Meinungen zu dieser Aktion der Langstrasse-Anwohner sind von einer Einseitigkeit, die ihresgleichen sucht. Folgender Kommentar unter dem entsprechenden Beitrag der Gratiszeitung 20minuten generierte 968 Likes bei gerade mal 59 Dislikes: «Wer an die Partymeile zieht, muss sich nicht wundern, wenn es laut wird. Man zieht ja auch nicht neben einen Bahnhof, Flugplatz oder eine viel befahrene Strasse und beschwert sich wegen des Lärms. Solche Menschen machen unnötig Probleme und verursachen am Ende nur Aufwand und Kosten». Natürlich: Ziemlich undifferenziert und wohl auch unfaire Worte. Aber ist die Aussage der 115 Langstrasse-Anwohner und -Beschwerdesteller, der «allnächtliche Partybetrieb an der Langstrasse ist eine stadtzerstörende Sauerei», etwa differenziert und fair? Die Langstrasse mit ihrem einzigartigen Eigenleben gehört allen Stadtbewohnern und nicht nur ihren Anwohnern.

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Blok und Zukunft.

DJs als Marktschreier

$
0
0
«Einmal Party mit allem, und einpacken bitte.» -Rolf Imhof sieht sich nicht als Verkäufer.

«Einmal Party mit allem, und einpacken bitte.» – Rolf Imhof sieht sich nicht als Verkäufer.

Der Zürcher DJ Rolf Imhof sorgte an diesem Wochenende mit dieser Facebook-Statusmeldung für Erheiterung: «Solche Veranstalter mögen wir: ‚Schau zu, dass du möglichst viele Lounges und Tische verkaufst, Rolf‘. Leute… wenn das mein grösstes Talent wäre, dann würde ich schon lange bei Ikea oder bei Möbel Pfister arbeiten». Rolf Imhof bezieht sich mit seinem Post auf den Umstand, dass heute viele Veranstalter den Job eines DJs wie selbstverständlich um Promo-Aktivitäten erweitern.

Rolf Imhof ist einer der dienstältesten DJs, die heute noch an Zürcher Turntables stehen, ohne je eine längere Auszeit genommen zu haben. Bereits Ende der 80er Jahre hat er vereinzelt an Acid-Partys von Arnold Meyer gespielt, ehe er dann Mitte der 90er Resident in der legendären Limmatbar wurde. Zum Jahrtausendwechsel legte er regelmässig in Urs Kinds Zoo Club auf und 2001 übernahm er dann die Kaufleuten-Donnerstage von Dani König.

In dieser Zeit hat sich der Job des DJs sehr gewandelt, nicht immer zum Positiven. Rolf Imhof: «In den 90ern gab’s an einem durchschnittlichen Zürcher Wochenende vielleicht zwei Partys, die gut waren. Heute sind es Dutzende. Das erhöht den Druck auf die Clubs. Deren Besitzer leiten diesen dann an die Veranstalter weiter und einige dieser Veranstalter versuchen ihn dann, zumindest teilweise, den DJs aufzubürden. Diese Entwicklung hat Mitte der Nullerjahre eingesetzt».

Auch Dario D’Attis, ebenfalls seit zwanzig Jahren als DJ aktiv, steht dieser Entwicklung mit Unbehagen gegenüber: «Das geht teilweise soweit, dass Veranstalter die attraktivste Spielzeit einer Clubnacht an jenen DJ vergeben, der die meisten Gäste akquiriert. Da ist der DJ dann endgültig nicht mehr DJ, sondern nur noch Promotor. Glücklicherweise darf ich heute für Clubs spielen, bei denen es primär um die Musik geht, keine sogenannten Tischchen-Clubs, bei denen das Drumherum bisweilen wichtiger zu sein scheint als der Sound. Die Musikclubs laufen zumeist besser und sie haben eine solche Handhabe daher gar nicht nötig».

In der Frühzeit des modernen Nachtlebens, Anfang der 90er, waren die Jobs klar verteilt: Ein DJ legt auf, Ein Clubbesitzer führt das Lokal, ein Veranstalter veranstaltet, verteilt Flyer und Wildplakate. Der Zerfall dieser Jobaufteilung ging in den Nullerjahren gar so weit, dass die Gäste Bus-weise verschachert wurden: «Wenn du mich buchst, setze ich 50 Leute in einen Reisecar, die mich an mein Set begleiten». Spätestens ab da spielte der Sound nur noch eine höchst sekundäre Rolle.

Auch wenn sich das wieder etwas gelegt hat, da viele Clubbesitzer und Veranstalter eingesehen haben, dass sie sich mit einer solchen Vorgehensweise am Ende nur schaden, weil sie damit ihre Partys und Locations mit einer Aura des Dumpings umgeben, so sind dennoch auch heute noch einige Veranstalter der Meinung, dass nur ein die Werbetrommel rührender DJ ein guter DJ sei. Solche Leute sollten sich vielleicht fragen, ob sie sich den richtigen Job ausgesucht haben, denn ein Veranstalter, der auf die Promotion seiner DJs angewiesen ist, um einen Laden zu füllen, macht wohl Einiges falsch.

Rolf Imhof sieht das nicht so eng: «Ich mache gerne online Werbung für die Partys, an die ich gebucht werde. Das hat auch was mit Anstand zu tun. Und ich bin ja sowieso ständig auf Facebook. Aber ein Tischchen- und Lounges-Verkäufer bin ich dann doch nicht».

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

Das Erbe der 80er

$
0
0
Inzwischen bezahlt man für ein Getränk in der Roten gleich viel wie im Opernhaus. (Bild: SRF)

Inzwischen bezahlt man für ein Getränk in der Roten gleich viel wie im Opernhaus. (Bild: SRF)

Heute vor fünfunddreissig Jahren wurde der Start-Pflasterstein zur 80er-Bewegung geworfen. Ich war am 30. Mai 1980, beim Startschuss zur Zürcher Bewegung, zehn Jahre alt. Die Opernhauskrawalle sagten mir nichts und den einzigen Bezug, den ich zur 80er-Bewegung hatte, waren die Erzählungen der Freunde meiner älteren Schwester.  Und meine Schwester war damals eher ein Hippiemädchen als eine Bewegte (da gibts noch irgendwo ein Bild mit Blumenkranz im Haar und grauenhaftem Zigeunerrock).

Trotzdem prägte die 80er-Bewegung mein Weltbild und meine Jugend. Das Umdenken, welches in dieser Zeit gewalttätig und teuer erkämpft wurde, machte aus meiner Stadt einen weltoffenen, modernen Lebensraum. Junge Menschen aus der ganzen Schweiz fanden in Zürich den Freiraum, Kunst, Kultur und alternative Lebensformen zu leben. Der graue Nebel lichtete sich und offenbarte eine Stadt, in der man (im Vergleich zu den 70ern) frei atmen und leben konnte.

Meine Zeit der Revolution kam dann in den 90ern. Da Zürich in den 80ern an Attraktivität gewann, sowohl wirtschaftlich wie auch kulturell, wurde der Wohnraum knapp. Und aus dieser Misere und den Überresten der Bewegung entstand dann die Besetzerszene. Einige ältere 80er-Bewegte erklärten uns natürlich, dass zehn Jahre früher «der Widerstand» viel revolutionärer war, dass es «damals» noch wirklich «bewegt» war. Inzwischen war ich alt genug, um die Wiederholung zu erkennen. Die 80er mussten sich wohl denselben nostalgischen Schrott von den 68ern anhören. Und wir, Generation «Wohlgroth», werden nicht müde, den Reclaim-the-Streets-Aktivisten zu erklären, dass unsere Zeit die beste war.

So weit, so gut. Jede Generation hat ein wenig Freiheit erkämpft, die 80er brachten mehr Freiraum im Bereich Kultur und schafften mehr Toleranz für andere Lebensentwürfe, die 90er eine liberalere Drogenpolitik und die legale Akzeptanz (keine sofortigen Räumungen der besetzten Liegenschaften) von Hausbesetzungen. Die Polizeistunde wurde abgeschafft, das Zeitalter des Techno und der Clubs begann.

Die Befreiung der 80er hatte aber auch einen Nebeneffekt. Inzwischen darf man in Zürich alles. Solange man nichts zerstört, das Geld hat und es sich leisten kann. Das erste Mal fiel mir das auf, als ich in der Roten Fabrik für mein Frühstück gleich viel bezahlte wie in einem Café an der Bahnhofstrasse, einfach mit unfreundlicherem Service (das gehört da zum Konzept). Und als ich meinen Eintritt/Drink in einem Club mit einem halben Tageslohn vergüten musste.

Aus Freiheit wurde Konsum. Die Revolution ist inzwischen ein Che-Guevarra-T-Shirt von einer Billigklamotten-Kette an der Bahnhofstrasse, «Kultur» ein Clubeintritt für 25 Franken oder ein Konzertticket für 90 Stutz. Die Bewegten aus den 80ern besuchen am 1. Mai die Kasernenwiese, parken aber ihre Autos, bezahlt aus ihren Jobs in Werbung und Medien, ausserhalb des Quartiers, weil sie um ihr Eigentum fürchten. Da sitzen sie dann in den T-Shirts ihrer Jugend, die inzwischen über dem Wohlstandsbauch spannen, erzählen sich Geschichten von früher und recken die Faust mit einem Döner vom Stand der PKK.

Die 80er und die folgenden Bewegungen haben uns in eine superindividualisierte Gesellschaft geführt. Jeder darf sein, was er will. Blaue Haare und zerrissene Jeans sind kein Aufmüpfen, sondern ein Modestatement. Clubs haben inzwischen eine politische Lobby aus Anwälten in Anzügen und das Nachtleben ist eine Industrie wie die Kohleverarbeitung. Inklusive empörter Gegner. Zwischennutzungen ersetzen Besetzungen und werden an szenige Künstlerkollektive und berufsjugendliche Unternehmer, alle in ihren Vierzigern, vermietet, die aus Zürich eine Berlinkopie machen, anstatt was Eigenes auf die Beine zu stellen. Von der alternativen Idee bis zu deren Kommerzialisierung dauert es noch gefühlte zwei Wochen.

Wer sich heute unwohl fühlt in dieser Gesellschaft, kann schlecht rebellieren. Erstens rebelliert er gegen eine Generation, die besser rebelliert hat, und zweitens ist ja bereits alles erreicht, alles ist frei, alles ist locker. Mehr zu fordern heisst mehr konsumieren zu wollen. Mehr Ateliers, mehr Freiheit, mehr finanzielle Unterstützung, mehr von allem. Und alles kann man kaufen. In Zürich regiert nicht die autoritäre Geisteshaltung der 70er. In Zürich regiert Kommerz kombiniert mit der unheimlich nervigen Patronisierung durch eine widerlich verständnisvolle ältere Generation.

Der heutigen jüngsten Generation bleiben zwei Wege: In den Konsum einzutauchen und sich in individueller Freiheit zu baden (gegen Geld natürlich), oder sich zu verweigern. Nicht zu konsumieren, Kultur wieder ohne staatliche und wirtschaftliche Geldspritzen zu machen und dafür auch nicht reguliert zu werden, sich Nischen zu suchen und diese zu nutzen. Kunst und Kultur dahin zu tragen, wo sie noch nicht (kommerziell) stattfindet. Aus Zürich hinaus in die Einöde der Kleinstädte, wo es noch Kämpfe gäbe, die ausgefochten werden müssen.

Das ist jedoch nicht besonders cool und man kann sich danach nicht in einer Hipsterbeiz bei einem überteuerten Hipsterbier entspannen.

PS: Vielleicht bin ich ja auch nur ein Wohlgroth-Veteran, der mit erhobenem Zeigefinger der Jugend predigt, dass früher alles besser war. Jänu.

Hier gehts zu «Definitiv ZH» mit einer Sammlung aller Bands und Geschichten aus Zürich zwischen 1976 und heute: «Definitiv II»

Partysommer startet

$
0
0
Oberer Letten by Mandy von Zu

Oberer Letten by Mandy von Zu

Gestern Sonntag fand, nach Aufschiebungen wegen unsteter Witterung, endlich das Letten Opening statt, samt Sets der DJs Alex Dallas, Pasci, Matija, Herr Müller und Marc Feldmann. Traditionellerweise ist die Party am Fluss der inoffizielle Startschuss in den Zürcher Outdoor-Sommer, auch wenn bereits einige nennenswerte Frischluft-Events über die Bühne gegangen sind, wie beispielsweise die Uto Kulm-Party mit Solomun und Adriatique, organisiert von einem Kollektiv um Marco Diener, Arnold Meyer und Giusep Fry.

Diener und Meyer zählen auch zu den Verantwortlichen der The Lake-Party in Richterswil vom 27. Juni, an der mit Seth Troxler, Davide Squillace, Adriatique, Butch und vielen mehr ebenfalls reichlich internationale Klasse spielen wird. Der Zürcher Sommer 2015 dürfte jedoch nicht von grossen Outdoor-Events geprägt werden, auch weil das, zumindest teilweise auf elektronisch Musik ausgerichtete, Zürich Open Air und die Street Parade auf dasselbe Wochenende fallen – nicht ohne Konsequenzen für das Rahmenprogramm der Street Parade. Arnold Meyer: «Es wird in diesem Jahr weder eine Electric City noch eine Energy geben. Auf die Electric City verzichten wir weil unser Austragungsort, das Maag Areal, umgebaut wird. Die Energy im Hallenstadion lassen wir nicht zuletzt wegen des Zürich Open Airs aus: Das Risiko, dass sich die beiden Anlässe zu viele Besucher abjagen, ist einfach zu gross».

Auch in diesem Jahr dürften viele, kleine Outdoor-Partys, ob illegal oder legal, den Zauber des Zürcher Sommers ausmachen. Einige dieser Partys sind bereits über die Wiese gegangen wie die eine oder andere Spontanfete in der Allmend, an denen das gemütliche Miteinander mindestens ebenso wichtig ist, wie harte Tanzbeats. In den letzten Jahren konnte man in Zürich generell eine Tendenz zu sogenannten Daytime-Partys beobachten, Anlässen, die nicht am Samstagabend starten, sondern am Sonntagmittag.

Hier verkehren nicht etwa wie früher primär Perpetuum Mobile-Clubber, die sich nach zwei durchzechten Nächten an einer Afterhour versuchen die eingeworfenen Substanzen aus den Gliedern schütteln, sondern viele Partygänger, die am Samstagabend früh ins Bett sind und die nach dem Sonntagsbrunch etwas feiern möchten. Ein Beispiel für diese Entwicklung sind die Sonntags-Partys im Supermarket wie die Sonntagsmärkte der Bernerin Manon Maeder, die dem Club seinen xten Frühling beschert haben.

Nicht jede Location eignet sich ebenso gut für sommerliche Sonntagspartys wie der Supi, kann man sich doch hier in einem grosszügigen Aussenbereich vertun und der Geroldsgarten, einer der beliebtesten Sonnenplätze der Zürcher, ist nur ein Steinwurf entfernt. Für etliche sommerliche Partystunden dürften auch Veranstalter wie Enzo lo Conte sorgen, die ihre Gäste mit Vorliebe auf Zürichsee-Schiffen, auf Wiesen, im Wald oder am Ufer des Sees zappeln lassen. Um an die Infos zu den kleinen Partys zu kommen empfiehlt es sich auf Facebook zu stöbern. Die grossen Events werden in der Regel auf den gängigen Plattformen wie tilllate.com angekündigt.

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

Der lange Weg in den erlauchten Kreis

$
0
0
Man will unbedingt rein in die gute Stube: Hive Club

Man will unbedingt rein in die gute Stube: Hive Club

Wenn man jung ist, korrelieren die Ansprüche und Wünsche zumeist nicht mit dem Inhalt der Brieftasche: Der Verlockungen sind viele, die finanziellen Möglichkeiten bescheiden. Dieser Missstand manifestiert sich vor allem im Ausgang, ganz besonders wenn man in Zürich lebt: Will man hier seine Party ohne Rücksicht auf die finanziellen Gegebenheiten geniessen, wird man schnell feststellen, dass am Ende des Geldes ziemlich viel Monat übrig bleibt – ein-, zweimal am Abend den Club wechseln, überall zwei bis drei Drinks kippen und schon sind 200 Franken weg. Geht man zweimal wöchentlich aus (für 25jährige keine bemerkenswert sportliche Leistung), belaufen sich die monatlichen Kosten für Clubbing folgerichtig auf ca. 1‘500 Franken.

Wie kann man als ausgehfreudiger Jungzürcher diese immensen Kosten auf ein verträgliches Niveau senken? Ganz bestimmt nicht indem man einen DJ, Veranstalter oder gar den Chef des Clubs seiner Wahl auf Facebook added und ihm, nach erfolgter Annahme, als erstes diese Nachricht sendet: «Vielen Dank für die Bestätigung. Bei wem darf ich mich melden um nächsten Samstag auf die Gäste- oder Friendslist zu kommen?». Vom Freund zum Blockierten in zwei Minuten: Kein Club- oder Partymacher, insbesondere im Bereich anspruchsvoller elektronischer Musik, mag Schnorrer und das Wort «Friendslist» verursacht bei vielen nur noch Sodbrennen.

Der sicherste und nachhaltigste Weg seine Nachtleben-Kosten zu senken ist selbst DJ oder Veranstalter im gewünschten Umfeld zu werden. Sollte es hierfür an Talent mangeln, hilft nachdrückliches Socialising: Wer immer wieder an denselben Orten verkehrt, wird von den Barkeepern, Hosts und Türstehern irgendwann als Stammgast erkannt und als solcher gepflegt. Schneller geht’s wenn man bei seinen Besuchen sympathische Extrovertiertheit an den Tag legt: Man schenkt dem Selekteur das freundlichste Lächeln, fragt den Barkeeper nach seinem werten Befinden und sagt dem Veranstalter, wie grandios die Party sei, die er da wieder hingestellt habe. Passt man dann bezüglich Look auch noch gut zum Image des Clubs (nicht dem tatsächlichen, sondern zu jenem, von dem die Clubchefs denken, dass man ihr Lokal so sehen würde…) dann ist die Chance gross, dass man irgendwann den Eintritt und den einen oder anderen Freidrink geschenkt kriegt.

Das klingt mühsam und langwierig und das ist es auch. Zudem gibt es viele Mitbewerber um die Gunst der Nachtlebenmacher und da die nicht allen alles gratis abgeben können, ist der Erfolg auch mit hartnäckigstem Socialising unsicher. Aber es ist dennoch der einzige Weg um (nach Jahren) vielleicht in den erlauchten Kreis jener vordringen zu können, die hemmungslos ausgehen können, ohne jedes Mal ihr Sparschwein zum Weinen zu bringen.

Möchte man sich das nicht antun und möchte man auch gar nicht allzu engen Kontakt zu all diesen verqueren Szenis, dann muss man sich wohl einfach damit abfinden, 38 Franken Eintritt für den Auftritt von Ricardo Villalobos in Friedas Büxe am Samstag zu berappen. Weil der Mann nun  mal horrende Gagen verlangt, weil die Miete und die Technik eines Clubs nun mal viel kosten und weil all die Leute die da arbeiten nun mal ihre Löhne überwiesen haben wollen.

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

Inzestuöses Flirten in Zürich

$
0
0
Alle mit allen: Zürich als amouröses Dorf.

Alle mit allen: Zürich als amouröses Dorf.

Eine Bekannte, deren Namen ich hier nicht veröffentlichen werde, hat sich bei mir ausgeweint, es gäbe keine Singles mehr in der Stadt. Also keine brauchbaren. Und die wenigen, die noch auf dem Markt seien, wären alle schon  mit jemandem zusammen gewesen, den sie kenne. Und irgendwie lösche ihr das ab, nehme ihr quasi die libidösen Voraussetzungen für ein Date. Ihre frustrierenden Erfahrungen hat sie mit der Flirt-App «Tinder» gemacht, bei der man das leicht belegen könne, da immer die gemeinsamen Kontakte angegeben seien.

Irgendwie konnte ich das nicht glauben, schliesslich hat nur schon die eigentliche Stadt über 350 000 Einwohner. Also hab ich die App kurzerhand auf mein Smartphone geladen und mein Suchraster altersmässig zwischen 20 und 55 Jahren in einem Umkreis von 50 Kilometern festgelegt.

Für alle, die «Tinder» nicht kennen: Man logt sich über seinen Facebook-Account ein. Daraufhin zeigt die App die Bilder der ins Suchraster passenden Singles. Mit einem Fingerwisch nach links schmeisst man eine unerwünschte Person in den Dating-Mülleimer. Mit einem Wisch nach rechts kommen sie ins Töpfchen mit den brauchbaren Zuckerschnutzis.

Wischt nun eine akzeptierte Person beim Anblick meines Konterfeis auch nach rechts, gibts einen «Match» und ich kann das Gegenüber anchatten. Eigentlich finde ich ein Auswahlverfahren, bei dem man Leute auf Grund eines Blicks auf ein Föteli wieder in die Hölle der Einsamkeit zurückstösst, schon grundsätzlich unethisch. Aber das ist ein anderes Thema.

Also begann ich, meine Angebote in Augenschein zu nehmen. Die erste Datingmaus kannte ich bereits persönlich. Und natürlich ging mir durch den Kopf, mit wem die schon zusammen gewesen ist.  Sie hatte diesen Idioten aus dem Secondhand-Shop gedatet, der immer so tut, als ob der überteuerte Schrott, denn man in den Kisten findet, eigentlich der Heilige Gral wär und nur in Gold und Blut des Erstgeborenen aufgewogen werden könnte. Und weg nach links.

Mit der Zweiten verbanden mich dreizehn gemeinsame Facebookfreunde. Diesmal überlegte ich nicht, mit wem die schon was gehabt haben könnte, sondern, welche Geschichten die gemeinsamen Bekannten über mich erzählen könnten. Ihr wisst schon, die ganzen Geschichten, die eigentlich in ein Buch auf den Grund des Meeres gehören. Mir fielen drei Storys ein, die im Kreis dieser dreizehn Personen herumgingen und die nicht unbedingt als Charakter-Referenz dienen sollten. Und mein neues «Tinder»-Meitli sieht ja auch, bei wem sie sich über meine Person informieren müsste … ab nach links.

So gings weiter: Fünf gemeinsame Freunde, fünfundzwanzig gemeinsame Freunde, elf gemeinsame Freunde. Und dazwischen alle Frauen, die ich in meiner aktiven Partyzeit schon mal in echt angebaggert hatte. Und die kleinen oder grossen Schwestern von Bekannten. Und die Töchter von Freunden, die ich noch als Babies im Kinderwagen in Erinnerung hatte. Die medizinische Assistentin meines Hautarztes, sehr appetitlich. Oder die Freundin eines Bekannten (Was mich dazu brachte schnell im Umfeld den Beziehungsstatus nachzufragen. Doch, sie waren noch zusammen).

Es gab von ca. hundert Bildern gerade mal zwei, die in keiner Weise mit mir und meinem Umfeld verbunden waren. Und die musste ich leider aus anderen Gründen nach links wegwischen.

«Das liegt nur daran, dass du mit so vielen Leuten auf Facebook verbunden bist», meinte ein Freund. Und im ersten Augenblick wollte ich mich davon täuschen lassen. Aber so ist es nicht. Durch mein Facebook-Netzwerk entstanden ja die Verbindungen nicht, sie wurden dadurch nur sichtbar.

Unwillkürlich entstand vor meinem inneren Auge das Bild von «Hermann, der lustigen Filzlaus», die ihre Abenteuer 1984 im Seefeld startete und seither von Gschpusi zu Gschpusi wechselt, alle zwei Jahre wieder an ihrem Ausgangsort landet und Zürich in den letzten dreissig Jahren niemals verlassen hat.

Natürlich kenne ich das «Kleine-Welt-Phänomen», das besagt, dass man mit jedem Menschen auf der Welt über sechs Kontakte verbunden ist. Heruntergebrochen auf Zürich bleiben da noch ca 1.5 Kontakte. Natürlich bleibt uns nichts anderes übrig, als damit zu leben. Aber ehrlich, wieso sollte man eine App benutzen, die so deutlich aufzeigt, dass man keine Chance hat, jemanden kennenzulernen, der wirklich etwas Neues zu erzählen hat?

PS: Meine geliebte Frau hab ich auf Facebook kennengelernt. Über eine gemeinsame Freundin. Aber das ist natürlich etwas ganz anderes.


Wo Berlin von Zürich lernen kann

$
0
0
Das Berghain in Berlin: Clubs haben kaum politische Lobby.

Das Berghain in Berlin: Clubs haben kaum politische Lobby.

Weil in Berlin in den vergangenen Jahren etliche Clubs von neu zugezogenen Anwohnern weggeklagt wurden, hat die dortige Club Commission, ein Interessensverband von Nachtleben-Machern, ein Clubkataster erstellt, das laufend ergänzt und aktualisiert werden soll. Die Club Commission hat dieses Kataster im Auftrag des vom Berliner Senat eingesetzten Musicboards erstellt und so kam es, dass die Liste Anfang Juni vom Berliner Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) höchstpersönlich der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Geisel: «Es geht darum, die Ansprüche der wachsenden Stadt miteinander zu verbinden. Die Menschen wollen nicht nur in Berlin feiern sondern hier auch wohnen. Ich werbe für ein gleichberechtigtes Miteinander. Hierfür brauchen wir zuerst einmal Informationen. Das Clubkataster ist ein wichtiges Instrument, um dies zu erreichen».

Schöne Worte, nobles Ansinnen, aber für einige Ortsteile wie den ehemals quirligen Prenzlauer Berg kommt diese Initiative zu spät, gibt es dort doch kaum noch Clubs, die in ein Kataster aufgenommen werden könnten. Noch vor wenigen Jahren besuchte jeder dritte Tourist die deutsche Hauptstadt wegen ihrer Clubs. Da sich die Verwandlung Berlins von «arm, aber sexy» in «immer noch nicht vermögend, aber schleichend langweiliger» längst auch international rumspricht, ist es für eine Problemevaluation eigentlich zu spät: Die Katasterphase müsste längst abgeschlossen und die auf ihr basierenden Massnahmen eingeleitet sein.

Zürich ist Berlin mindestens zwei Schritte voraus: Mehrere Projektgruppen unter der Leitung von Polizeivorsteher Richard Wolff arbeiten derzeit an möglichen Brückenschlägen zwischen Nachtleben und Anwohnerschaft. Die Zürcher Stadtverwaltung hat das Problem erkannt, auch ohne vorher in Form eines Katasters ein ohnehin offensichtliches Problem belegen zu müssen.

Die Zürcher Stadtregierung hat auch klargestellt, dass eine Grossstadt ein lebendiges Nachtleben braucht, dass dieses viel zu ihrer Attraktivität beiträgt. Auch wenn Stadtentwickler Geisel das Clubkataster persönlich vorstellt, so wird man doch den Eindruck nicht los, dass der Berliner Senat hier seinem Nachtleben bloss einen Knochen hingeworfen hat, der von der Club Commission mit freudig wedelndem Schwanz angenommen wurde.

Lutz Leichsenring von der Commission: «Wir freuen uns. Man hat jetzt offensichtlich erkannt, dass Clubs ein wichtiger Beitrag zur Stadtentwicklung sind». Wie schön … Aber kann diese Einsicht auch nur ansatzweise den Ansprüchen eines Vereins genügen, der eine der wichtigsten Clubszenen Europas repräsentiert? In Zürich wird nichts mehr einfach nur hingenommen und die Zeiten, als ein einzelner Anwohner hunderten Clubbern ihre wochenendliche Stube mir nichts, dir nichts wegklagen konnte, sind vorbei. Selbst bei Sammelklagen, wie bei jener der Langstrasse-Anwohner kürzlich, erfolgt eine heftige Gegenreaktion seitens Nachtleben, die wiederum in einer öffentlichen Diskussion mündet, die ihrerseits zu einer Fall-bezogenen und einvernehmlichen Lösung unter der Leitung der Stadtverwaltung führen könnte.

Davon ist man in Berlin noch meilenweit entfernt. Clubkataster hin oder her.

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

Europaallee: Die linke Beisshemmung

$
0
0
Samir und der Sphère-Beizer Deckert: Trojanische Pferde der Gentrifizierung?

Samir und der Sphères-Beizer Deckert: Trojanische Pferde der Gentrifizierung?

«Gege de Samir chammer aso nüt säge», ist die gängige Reaktion der etablierten Linken und der Kulturszene auf das neueste Projekt der SBB in der Europaallee. Als würde die Beteiligung von Samir und Sphères-Chef Bruno Deckert aus dieser projektierten Mall in US-amerikanischem Stil mit sechs Kinosälen, Bistros, Kongress- und Konzerthallen und Einkaufsmöglichkeiten so eine Art alternatives Kulturzentrum machen. Es ist nicht so, dass Samir und Deckert dort bauen. Es ist so, dass sie viel Geld verdienen, um dem Projekt den Anstrich von Kultur zu geben.

Offenbar hatte sich die SBB Sorgen um ihr Image gemacht, nachdem die Rechnung mit den Luxuswohnungen nicht aufgegangen ist – sehr schwer vermietbar – und nicht nur die «Reclaim the Street»-Bewegung, sondern auch die anderen Stadtbewohner laut Kritik an der offensichtlichen Gentrifizierung übten.

«Kaufen wir uns einen linken Kulturschaffenden und einen Beizer, die in der Kulturszene bereits akzeptiert sind und klatschen sie an die Projektfassade», dachten sich die Verantwortlichen bei der SBB wohl. «Dann sind diese ewigen Nörgler still und wir können endlich Rendite einfahren.»

Aber irgendwie haben sie nicht begriffen, um was es geht. Nur weil man den Kritikern ein Zückerli hinwirft, macht das die Quartierveränderung nicht rückgängig. Mit sechs Kinosälen und geplanten Konzerten baut man dort direkt an der Langstrasse einen Konsumtempel, der noch mehr Geld und Konsumkreuzzügler ins Quartier bringt, falls es denn funktioniert. Neben der Belastung durch die Clubindustrie ist es wohl der nächste Schritt, das Quartier für die bisherigen Anwohner – ausser für ein paar Hipster – unbewohnbar zu machen.

Funktioniert es nicht, wie eben die Luxuswohnungen, hat man einfach eine weitere tote Ecke in der Stadt geschaffen.

Ich persönlich denke aber, dass die neue Mall ein Erfolg sein wird. Man kann von überall her schnell in die Stadt kommen, im Bistro essen, einen Hollywood-Film schauen, oder schnell an ein Konzert gehen, danach ein paar Strassen weiter in einen Club und man ist vor morgens um Sechs wieder brav zuhause. Eigentlich hätte die SBB noch einen S-Bahnhof – oder wenigstens eine Haltestelle auf der Langstrassenbrücke – einplanen sollen, damit man sich direkt ins Kaufland kutschieren lassen kann.

Das Ganze ist so ein bisschen wie All-inclusive-Ferien, einfach an der Langstrasse. Und das unter der Schirmherrschaft zweier Vorzeige-Kultur-Typen. Sie sollen wie Valium auf die Kritiker wirken.

Nun, die Beisshemmung gegen Samir und Deckert wird dem Projekt wenigstens politisch etwas Luft verschaffen. An den Realitäten, nämlich dass die Langstrasse als Wohn- und Lebensraum abgemurkst wird und dafür als Geldmeile wieder aufersteht, ändert das nichts.

Legal oder illegal?

$
0
0
Tony Bolli vom Plaza versteht den Ruf nach  illegalen Partys.

Tony Bolli vom Plaza versteht den Ruf nach illegalen Partys.

Letzte Woche habe ich an dieser Stelle das Bedürfnis der Clubber nach mehr Subversion und Illegalität thematisiert, was für Aufruhr gesorgt hat. Die Reaktionen fielen höchst unterschiedlich aus, wobei einige etablierte Clubmacher auch Verständnis zeigten für den Ruf nach mehr Nightlife-Effort in der juristischen Grauzone.

Tony Bolli, Programmchef Plaza Club: «Ich finde, der Underground braucht eine illegale Seite. Die Begriffe Underground und Illegalität sind für mich nicht zu trennen. Allerdings gibt es in Zürich kaum mehr Strukturen für solche Lokale, von denen es früher viele gab. Dazu kommt, dass diese Szene immer auch von ihrer Verschwiegenheit gelebt hat: Partyinfos wurden nur via Mundpropaganda weitergegeben. Heute werden illegale Wald- und Wiesenfeste auf Facebook promotet. Es wäre trotzdem schade, wenn das Nachtleben den Underground-Aspekt verlieren würde.»

Sandro Bohnenblust vom Supermarket ist anderer Ansicht: «Der Begriff Illegalität wird von den entsprechenden Veranstaltern meist so gedeutet, dass man sich an keine Vorschriften hält: keine Lüftung, keine Feuerpolizei, keine Alkohol- und Mehrwertsteuer et cetera. Daher sollten die Betreiber illegaler Clubs bestraft werden. Sie nehmen eine Gefährdung ihrer Gäste durch fehlende Notausgänge in Kauf. Im Brandfall würden solche Lokale zu Todesfallen. Für mich gehören Illegalität und Underground nicht zwingend zusammen: Underground heisst für mich, nicht jede Gelegenheit zur Publizität wahrzunehmen – und eine Musik, die Eigenständigkeit vermittelt. Heute kriegt man das meiste bewilligt, man braucht bloss gesunden Menschenverstand und die Bereitschaft, mit den Behörden zu reden. Und eine Illegalität, nur um der Illegalität willen, ist verlogen.»

Anatol Gschwind (Hive und Gonzo) sieht es differenziert: «Klar habe ich Verständnis für den Ruf nach illegalen Clubs. Temporäre Lokale, die es morgen vielleicht schon nicht mehr gibt, sind spannend, und der Reiz des Verbotenen lockt zusätzlich. Man nimmt Mängel in Kauf, die in einem offiziellen Club nerven würden: fehlendes Eis, warmes Bier, versiffte Toiletten – trotzdem wollen alle da hin.

Hinzu kommt, dass solche Locations verlockende Freiheiten bieten: Für DJs gibt es keine Lärmbeschränkungen, Gäste dürfen im Club rauchen, es gibt kein Security, die einem Vorschriften macht. Illegal ist aufregend und darüber hinaus auch billiger. Wir bezahlen Unsummen an Sozialabgaben und Urhebergebühren, wir plagen uns mit einem Rauchverbot rum und wir erfüllen jede Auflage der Feuerpolizei, wobei wir letzteres auch ohne Vorschriften tun würden. Ich habe kein Verständnis dafür, dass viele Betreiber illegaler Clubs nicht einmal die Sicherheit der Gäste gewährleisten. Ich denke nicht, dass das offizielle Nachtleben langweilig ist. Wir versuchen stets, die Qualität zu verbessern: durch bessere Soundsysteme, spannende Bookings, neue Einrichtung – und indem wir mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten.

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

Das Herz auf der Zunge – plaudern mit Emel

$
0
0
Emel: «Ich funktioniere akustisch, nicht visuell.» - Stadtblog: «Du funktionierst auch visuell, ehrewort.»

Emel: «Ich funktioniere akustisch, nicht visuell.» – Stadtblog: «Du funktionierst auch visuell, ehrewort.»

Diese Woche haben wir die Musikerin und Sängerin Emel Aykanat für ein Plauderstündchen in unserer Smalltalk-Serie getroffen. Eigentlich wollte sie mich in die Ambossrampe bestellen, während ihre Tochter gerade Yoga-Stunde nahm. «Ou», dachte ich, «echte Zürcher Hippiekacke.» Aber die Ambossrampe hatte geschlossen und das Kinderyoga stellte sich dann als ganz normale Turn- und Spielstunde heraus. Also alles ganz normal. Wir setzten uns dann ein paar Meter weiter ins Café Noir, wo man Emel zu kennen scheint. Bei Café und Zigaretten plauderten wir, bis die Spielstunde zu Ende war.

So, ich schalte jetzt das Aufnahmegerät ein.

Ah, dann muss ich ab jetzt aufpassen. was ich sage.

Wieso? Ich hab mir immer gedacht, dass du auch in den Medien erfrischend offen und direkt bist.

Ja, bin ich eigentlich schon. Obwohl gerade von den Medien dann Vieles aufgebauscht wird.

Du sprichst auf deinen Facebook-Post an, indem du klar gestellt hast, dass dich DJ Bobos Produzent damals nicht vor einer Disco aufgegabelt und dir eine Chance zum Singen gegeben hat? Das gab ja gleich eine Boulevard-Geschichte.

Ja, zum Beispiel. Früher wär mir so eine Aussage vielleicht egal gewesen. Aber ich will nicht, dass meine Tochter denkt, ihr Mami sei vor irgendwelchen Clubs rumgegammelt und habe auf eine Chance gewartet. Im echten Leben steckt Arbeit und Leidenschaft hinter dem Erfolg. So war ich damals, mit 16, im Studio und hab an meinen eigenen Songs getüftelt, als mich Bobos Produzent fragte, ob ich nicht ein paar Zeilen einsingen könnte. Aber das konnte ich ja dann mit Herrn Baumann (für unsere Leser: DJ Bobo) klären und er hat sich dann öffentlich entschuldigt und korrigiert.

Dann gabs da noch die Geschichte mit Stress, der den französischen Comedian Dieudonné lobte. Da hast du auch ziemlich Klartext geredet.

Das war auch wichtig. Dieudonné transportiert antisemitische und antifreiheitliche Inhalte und spricht damit vorallem junge Muslime an. Wenn dann ein Star wie Stress mitklatscht, muss ich gerade als Muslima mein Maul aufreissen. Denn erstens finde ich es nicht gut, dass Dieudonne, der Katholik und enger Freund des Rechtsradikalen Jean Marie Le Pen ist, meinen Brüdern irgendwelche Kacke erzählt. Und zweitens gilt für mich: Entweder man ist gegen Rassismus und Diskriminierung – dann bitte auch gegen alle Formen davon – oder eben nicht.

Du bist Muslima. Machst du Ramadan?

Nein, also nicht durchgehend. Ich nehm immer mal wieder einen Tag Auszeit, um mich zu reinigen und mental und spirituell zur Ruhe zu kommen. Der Islam ist eher das kulturelle Umfeld, in dem ich die Grundwerte vermittelt bekommen habe. Die Grundwerte unterscheiden sich übrigens nicht von denen der Christen oder Buddhisten: Sei kein Arschloch, kümmere dich um deine Mitmenschen, strebe das Gute an.

Auf deinen Plattencovern ist oft viel Haut zu sehen, zum Beispiel auf deinem ersten Album. Wie hat dein türkisches Umfeld darauf reagiert?

Haha, das Schweizer Fernsehen hat damals meinen Vater interviewt und extra das Cover mitgenommen, um ihm meinen Brustansatz auf dem Bild zu zeigen. Er hat sich das mit gerunzelten Brauen angesehen und gemeint. «Das ist nicht meine Tochter.» Erwartungsvolles Schweigen. «Da sieht sie viel zu schwach aus. Aber meine Tochter ist stark.» Er drehte das Cover um und zeigte auf ein Bild, auf dem ich viel selbstbewusster wirkte und meinte: «DAS ist meine Tochter.»

Sehr schöne Geschichte. Wie ist das als attraktive Frau, wurdest du nicht oft auf dein Äusseres reduziert im Musikbusiness?

Vielleicht manchmal, aber im Musikbusiness geht es glücklicherweise in erster Linie um Musik. In New York wollten mir die Produzenten immer erst irgendwelchen Mist, den sie gerade noch so rumliegen hatten, zum Singen geben. Erst als ich ihnen meine eigenen Songs präsentierte, konnten wir beginnen richtig zu arbeiten. Es ist wie zu Beginn gesagt: Musik war immer meine Leidenschaft. Und so hab ich von Kind auf sehr viel Arbeit in die Musik gesteckt. Das zahlt sich aus.

Naja, Talent ist dazu aber auch notwendig. Du hast jetzt eine ruhige Phase hinter dir. Was kommt als Nächstes?

Ja, musikalisch wars eher ruhig. Ich hab meine Tochter bekommen, wollte mich ihr widmen, ihr auch etwas von der Welt zeigen, bevor sie in die Schule eingebunden ist. Aber ich hab schon dauernd Musik in meinem Leben. Zum Beispiel wollte ich die Geburt meiner Tochter in einem Song verarbeiten. Aber das Ereignis war zu gross, zu wundervoll, um es in einen Song packen zu können. Zur Zeit bereite ich neue Songs vor, gemeinsam mit dem grossartigen Percussionisten Rhani Krija, der auch mit Sting arbeitet. Ich will etwas von diesen arabischen Elementen darin unterbringen. Das ist gerade ein Einfluss in meinem Leben.

Wie kommts?

Ich habe den arabischen Frühling verfolgt, dann die daraus entstehenden Flüchtlingskatastrophen, Lampedusa, Mittelmeer, die ganze Qual. Ich wollte etwas tun. Also nicht nur einen Song darüber schreiben. Also informierte ich mich und fand heraus, dass man bei der Organisation TransFair in Zürich freiwillig Deutsch für Flüchtlinge unterrichten kann. (Hier mehr, wer sich auch engagieren will! TransFair) Damit begann für mich ein neuer Einblick in fremde Welten. Daraus folgend nahm ich an einem Begleitungsprogramm teil, mit dem Flüchtlinge in der Schweiz integriert werden sollen. Seither treffe ich mich regelmässig mit einem syrischen Flüchtling, gehe Kaffee trinken und zeige ihm die Kultur, in der er jetzt lebt. Umgekehrt bekomme ich einen Einblick in seine Kultur und entwickle ein Verständnis für die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten.

Dann bleibt ja noch dein Privatleben. Wie siehts in der Partnerschaft mit XXXXX aus?

Dazu gebe ich besser keine Kommentare in der Öffentlichkeit ab. Es ist kompliziert – wie immer.

Ou, gopf.

Hier schalte ich das Aufnahmegerät ab, und wir unterhalten uns über ihre Beziehungen, meine Schwester, Mallorca, Besuche von Freunden zum Essen und andere Dinge, die ihr, liebe Leser, gar nicht wissen wollt. Ehrlich.

«Nimm deinen Dreck mit!»

$
0
0
Unter diesem Dreck ist irgendwo der See. Und wie muss man drauf sein, um Menstruationsbinden in den See zu werfen?

Unter diesem Dreck ist irgendwo der See. Und wie muss man drauf sein, um Menstruationsbinden in den See zu werfen?

Das Bild stammt von gestern Morgen – dieser Dreck sammelt sich bei der Badi Uto-Quai. Wir kennen ähnliche Bilder von anderen Stellen am See, vom Flussufer, von den Stadtpärken, von den Seitenstrassen rund um die Clubsszene an der Langstrasse, aus der ganzen Stadt.

Es ist nicht «die 24-Stunden-Gesellschaft», es sind nicht die Beachpartys oder die Clubs. Diese Faktoren tragen nur dazu bei, dass sich das Ganze multipliziert. Es liegt viel mehr daran, dass die Leute die Stadt nicht mehr als Lebensraum, sondern als Konsummeile verstehen. Als ob man in eine Beiz geht, da konsumiert und dann einfach aufsteht und weggeht. Das Personal kümmert sich dann ja um den Dreck, den man hinterlässt.

Wenn man seine Party zuhause feiert, kann man noch so hageldicht sein, wenn man am nächsten Tag aufwacht, muss man sich dem ganze Müll stellen, dem Chaos, das man angerichtet hat. Geht man aber mit ein paar Freunden an den See, in den Park oder in einen Club, kann man sich die Kante geben und Flaschen, Kondome, Einweg-Grills und Erbrochenes einfach liegen lassen. Schliesslich geht man am Ende ja weg und siehts  am Morgen dann nicht mehr.

Es wär einfach, die ganze Schuld den Partytouristen zu geben. Aber so ist es nicht ganz. Es geht um den Begriff «Zuhause». Ich wette, dass sich einige Stadtzürcher in den Bergen oder am Strand genau so aufführen. Sobald man nicht mehr in der eigenen Homezone ist, benehmen sich manche wie Schweine.

Ich hör jetzt schon die Law & Order-Typen nach mehr Polizei rufen. Die Polizei  hat Besseres zu tun, als Babysitter für kleine Dreckspatzen ohne Gemeinschaftssinn zu spielen. Das ist nicht die Lösung. Viel mehr bräuchte es mehr Zivilcourage. Ein «Hey, ich leb hier, nimm bitte den Dreck mit» könnte einen Unterschied machen. Natürlich neben einem grundsätzlichen Sinn für Gemeinschaft, der uns in der Konsummeile Stadt mehr und mehr abhanden kommt. Oh Gott, ich hör mich schon wie einer dieser Typen an, der jammert: «Diese Leute haben keine Kinderstube mehr. Uns haben noch die Eltern beigebracht, dass wir unseren Dreck selbst wegräumen müssen.» Und ehrlich: Genau so ein Typ bin ich.

Ein Vorteil der Anonymität der Stadt ist, dass man Vieles tun und lassen kann, ohne dass sich die Leute das Maul darüber verreissen. Ein Nachteil ist jedoch, dass viele denken, es habe auch keine Handlung Konsequenzen. Bei den Wildpinklern im Kreis 4 nützt es übrigens, die Typen in flagranti zu fotografieren und auf Facebook und Instagram zu posten. 

Vielleicht hat ja jemand eine kreative Idee, wie wir mit den Schweinen umgehen können, die ihren Dreck jedes Wochenende in unserem städtischen Wohnzimmer liegen lassen ….

VIP-Superhot-Sexy-SMS-Terror

$
0
0
Promo-SMS: Die Antwort durfte aus Jugendschutz-Gründen nicht mit aufs Bild.

Promo-SMS: Die Antwort durfte aus Jugendschutz-Gründen nicht mit aufs Bild.

*Bssssmm*Bssssmm*Bssssmm* –  mein Handy teilt mir summend die Ankunft einer digitalen Kurzbotschaft, kurz SMS, mit. Wer könnte das sein? Meine Angebetete, die mir sagen will, wie sehr sie mich liebt? Ein Freund, der mich endlich wieder mal auf einen Drink einladen will? Mein Mami, die mir sagt, dass meine Wäsche fertig ist? Nein.

«Ändlich isches sowiit! – tontight – THE RESTLEZZ NIGHT im Plaza Klub Zürich!»

oder ähnlich dämliche Club-Promo von Partyveranstaltern im Mascotte, Hiltl, Nordportal Baden und einigen mehr trudelt jede Woche in meinen Messageeingang.

Ich frage mich, was sich die Partypromoter bei solchem Schwachsinn überlegen. Jedesmal, wenn ich so eine Mitteilung bekomme (für die ich mich übrigens nie angemeldet habe), kriege ich SO EINEN HALS. Ich will in meiner privaten Kommunikation keine VIP-, Super-, Hot-, oder Sexy-Partyeinladungen. Ich will da ja auch keine Sonderangebote vom Coop oder Aktionen von der Migros. Es ist nicht cool. Es ist nicht gewünscht. Und es lässt sich nicht so einfach abstellen.

Einige stellen den Versand ihrer Spam-SMS gar nicht ab, andere nur auf massive Drohungen hin («Ey, ich speichere alle eure SMS und komm vorbei und schiebe sie euch in den A****. Ohne zuvor das Handy drumherum zu entfernen. Mit Ladegerät.») Oder ich drohe mit Klage wegen illegalem Telefonmarketing. Dann gehts. Aber nicht einfach so.

«Ey easy, ist doch nur eine kurze Info, ist doch cool.»

Nein, ist es nicht. Und ausserdem funktionierts auch werbetechnisch nicht. Wer Massen-SMS verschicken muss, um seine Party vollzukriegen, sagt eigentlich nur, sein Anlass sei so lahm, dass die Leute nicht ohne Aufforderung kommen. Kleiner Tipp: Promotion funktioniert durch Anziehung, nicht durch Werbung.

Natürlich habe ich den speziellen Veranstalter sofort vergessen und hasse einfach den Club, in dem der Anlass stattfindet. Es ist also im Interesse der Clubs, solchen SMS-Terror bei ihren Veranstaltern zu unterbinden. Oder wenigsten zu schauen, dass nur Leute die Mitteilungen bekommen, die sie auch bestellt haben.

Wenn ich nämlich in den Ausgang will, kenne ich die Örtlichkeiten und die Veranstalter bereits, die ich gerne besuche. Und die SMS-Terroristen gehören spätestens nach der ersten Promo-SMS nicht mehr dazu.

Wenn ihr aber wirklich so dringend Werbung braucht, schickt mir doch nochmals so eine Promo-SMS: Ich werde euren Anlass dann in einem Nachfolgepost speziell erwähnen.

Nichts zu danken! Auch nicht per SMS.

Der Beitrag VIP-Superhot-Sexy-SMS-Terror erschien zuerst auf Stadtblog.

Erlaubt ist, was nicht tönt

$
0
0
Oberer Letten by Mandy von Zu

Oberer Letten by Mandy von Zu

Keine Street Parade ohne Motto und auch für die kommende Ausgabe hat man tief in die mit Pathos gebeizte Schatzkiste sinntriefender Parolen gegriffen und dort ein episches «Magic Moments» hervorgekramt. Begründung: «Fasziniert von der Street Parade sind nicht nur die Fans, DJs aus der ganzen Welt schwärmen von der einmaligen elektrisierenden Atmosphäre und treten ohne Gage auf. Gemeinsam mit den Love Mobile-Crews und Teilnehmerinnen und Teilnehmern ermöglichen sie ein weltweit einzigartiges Happening und zaubern unglaublich viele magische Momente auf die Zürcher Strassen und Plätze».

Abseits der Street Parade sind solche magischen DJ-Momente auf Zürcher Strassen und Plätzen rares Gut. Dafür verantwortlich ist die Fachgruppe Lärmbekämpfung der Stadtpolizei Zürich, die nicht nur Lärmklagen im Zusammenhang mit Gastwirtschaften unter Einbezug der einschlägigen Erlasse behandelt, sondern die auch Gesuche für Festveranstaltungen prüft, Auflagen zur Lärmverminderung erlässt und deren Umsetzung kontrolliert. Weiter ist sie Meldestelle für die Durchführung von Veranstaltungen nach Artikel 8 (Schalleinwirkung) und/oder Artikel 11 (Laserstrahlen) der eidg. Schall- und Laserverordnung (SLV).

Da mag jetzt manchem ein «Wunderbar!» entfleuchen, weil er sich vor dem inneren Auge bereits an einem stehenden oder fliessenden Gewässer die dort Anwesenden mit seinen DJ-Künsten unterhalten sieht – inklusive besagter Bewilligung. Doch die Freude wäre verfrüht, denn von 22 Uhr (Sommerzeit 23 Uhr) bis 7 Uhr ist Musik (auch via Radio abgespielte) draussen grundsätzlich verboten. Eine Sonderbewilligung wird in der Regel nur für grössere Veranstaltungen erteilt. Auch in der übrigen Zeit darf niemand durch Lärm belästigt werden. Wohlgemerkt: Musik wird in diesem Zusammenhang pauschal als Lärm taxiert.

Wie kommt es dann, dass im Sommer trotzdem immer irgendwo Beats durch die laue Zürcher Luft zu hallen scheinen? Das rührt daher, dass die Fachgruppe für Lärmbekämpfung die Vorschriften nicht buchstabengetreu anwendet, sondern individuell nach Fall entscheidet und da nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes – oft drücken die Beamten nicht nur ein Auge zu, sondern deren zwei und ein Hühnerauge obendrein. Entscheidend dürfte sein, ob sich Anwohner gestört fühlen und ob die betreffenden Veranstalter und Lokale Rück- und Umsicht walten lassen: Eine Bewilligung für Musik unter freiem Firmament hat hingegen (beinahe) niemand.

Bei einem Verfahren nach Ermessen und Gutdünken seitens Exekutive wie diesem gibt es immer welche die sich gegängelt und benachteiligt fühlen und das nicht ganz zu Unrecht: «Wieso darf der und ich nicht?». Die Schaffung einheitlicher Vorschriften unter Berücksichtigung sämtlicher Eventualitäten und unterschiedlichen Rahmenbedingungen wäre für die Legislative eine gewaltige Herausforderung. Aber vielleicht würde es den Aufwand mildern, wenn man Musik nicht mehr pauschal unter «Lärm» abheften würde?

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

Der Beitrag Erlaubt ist, was nicht tönt erschien zuerst auf Stadtblog.


Gezeichnet fürs Leben

$
0
0
Irgendwo hat das jeder schon mal gesehen. ZUm Beispiel bei Rihanna.

Irgendwo hat das jeder schon mal gesehen. Zum Beispiel bei Rihanna.

Es ist Sommer, die Menschen leicht bekleidet und man sieht wieder mehr Haut. Und so natürlich auch mehr Tattoos.  Fast jeder unter 63 trägt Tinte unter der Haut, also sollte die Vielfalt dieses Körperschmucks eigentlich unendlich sein. Ist sie aber nicht. Die Tätowierungen in den Badis unterliegen denselben Modeströmungen wie man sie in Fashionmagazinen findet.

«Ich will mit meinem Tattoo meine Persönlichkeit unterstreichen», ist eine der häufigsten Aussagen zu Tätowierungen. Erstaunlich ist, dass man dazu Motive aus dem Internet herunterlädt, oder grad beim Tätowierer aus dem Katalog wählt.

Versteht mich nicht falsch! Ich bin selbst tätowiert, auch ich hab «meine Persönlichkeit» unterstreichen wollen, bevor ich überhaupt wusste, was meine Persönlichkeit auszeichnet. Aber ich habe mir individuelle Motive ausgewählt, keine Sternchen oder Schmetterlinge oder sonstwas aus dem Katalog oder der Modestrecke im «Friday».

Eine Tätowierung ist kein Modestatement, wie viele Mütter in ihren 40ern mit einem Arschgeweih bestätigen können. Obwohl die meist noch individuell waren, einfach alle am selben Platz. Doch war ein Arschgeweih in den 90ern immerhin noch eine krasse Aussage, während die massentauglichen, kleinen Mainstreamtattoos eigentlich nicht aussagekräftiger sind als Modeschmuck aus dem «Claires». Wenn also diese massenweise auftretenden Tätowierungen die Persönlichkeiten unterstreichen, dann teilen sich sehr viele Menschen ein und dieselbe Persönlichkeit. Da bleibt für den Einzelnen dann nicht mehr so viel.

Die eigene Individualität mit einem Symbol zu unterstreichen, das man wie ein T-Shirt von der Stange kauft, funktioniert irgendwie nicht. Genauso wenig, wie wenn man mit 20 eine Persönlichkeit unterstreichen will, die sich erst am Beginn ihrer Entwicklung befindet. Natürlich haben solche Tattoos irgendwann dann auch einen pädagogischen Wert. Spätestens wenn 20 Jahre später im Sommer jeder genau weiss, in welchem Jahr man seine wilde Zeit hatte. Man muss dann zu seinen Jugendsünden stehen. Und mit einer Mainstream-Clubnight-Tätowierung Jahrgang 2014/2015 bleibt einem auch gar nichts anderes übrig.

Deshalb hab ich auch Respekt vor den Frauen, die heute stolz in der Badi ihr Arschgeweih tragen, und es alle fünf Jahre nachstechen lassen, anstatt sie verschämt unter T-Shirt und hochgezogenen Badehosen zu verstecken.

Wenn ihr dazu in ein paar Jahren nicht bereit seid, überlegt euch ein wirklich persönliches Motiv. Oder kauft am Freitagabend für den Clubbesuch besser einen Kaugummi mit Gratistätowierung. Abwaschbar.

Der Beitrag Gezeichnet fürs Leben erschien zuerst auf Stadtblog.

Techno, Titten und Trompeten

$
0
0
Als "Zürcher Fasncht" eingeschätzt.

Als “Zürcher Fasnacht” eingeschätzt.

Am kommenden Samstag ist Street Parade und wie jedes Jahr wurde im Vorfeld über die Hymne gelästert, das Motto (Magic Moments) belächelt und bei jeder Gelegenheit betont, dass die Zürcher Clubs nichts mit dem Umzug zu schaffen hätten. Anstatt nun eine weitere, eigene Einschätzung abzugeben wie der Zürcher über seine Parade denkt, habe ich bei den nachtaktiven Bürgern selbst nachgefragt und festgestellt: Es ist alles halb so wild oder es  wird aus politischen Gründen darauf geachtet, dass die Statements nicht zu wild geraten.

Zumindest meistens, denn es gibt doch ein paar Nachtlebenmacher, die nie ein Blatt vor den Mund nehmen wie beispielsweise Samy Jackson, die eine Hälfte des Duos Animal Trainer: „Techno, Titten und Trompeten“ lautet sein Parade-Zitat. Auch das Urteil von San Marco, DJ und Mitbetreiber des Clubs Friedas Büxe, fällt nicht eben bejahend aus: „Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder“.

Andere wie Sacha Winkler alias Kalabrese verschachteln ihre Meinung und lassen lieber etwas Deutungsspielraum: „Sie ist ein lustiges Stadtwandern, ein musikalisches Abdriften, Staunen und Rätseln“. Eifrige Nightlife-Strippenzieher wie der Bar- und Clubkommission Zürich (bck) Präsident Marc Blickenstorfer hingegen hüten sich, die Street Parade mit der Clubszene in Verbindung zu setzen und betonen lieber ihren Wert für die Stadt: „Sie ist ein grossartiger Anlass für die internationale Ausstrahlung der Stadt Zürich“.

Auch Anatol Gschwind, Mitinhaber des Hive, schlägt in diese Kerbe: „Ich finde das Ganze eine positive Sache, eine die es alljährlich schafft die Stadt in Aufregung zu versetzen“. Kaufleutens Marc Brechtbühl zeigt sich wohlwollend: „Für mich bedeutet die Parade mit dem Kaufleuten an einem weltweit bekanntem Anlass der elektronischen Musik mit einem bedeutenden Line Up teilhaben zu können. Und für mich persönlich sind es viele schräge und farbige Erinnerungen“.

Andere wie der Produzent, DJ und ZHdK-Dozent Domenico Ferrari ziehen sich lieber aus der Affäre: „Da die Street Parade immer dann stattfindet wenn ich in den Ferien bin, bedeutet sie für mich… Ferien“. Wiederum Andere wie Marc Aeschbach, Geschäftsführer des Clubs Café Gold, sind eher unentschlossen was ihre Ansichten zur Street Parade anbelangt: „Sie ist die neue Zürcher Fasnacht“. Dann, nach einer kurzen Gedankenpause: „Man kann das aber auch positiv interpretieren: Sie ist der eine Tag im Jahr, an dem die elektronische Tanzmusik dem breiten Volk schmackhaft gemacht wird“.

Aber es gibt sie doch, die Nightlife-Exponenten die sich zur Street Parade bekennen. Wenn auch mit einem Aber wie DJ Steven „Darrien“ Busse: „Die Parade ist wichtig für die Stadt, als Statement fürs Nachtleben. Ich persönlich mag sie wegen dem, was am betreffenden Wochenende abseits des Umzugs alles passiert“. Will man ein klares Bekenntnis ohne Wenn und Aber und abseits von Eigeninteressen, muss man das Nachtleben hingegen verlassen. Der Hitproduzent (Hitmill) Roman Camenzind: „Die Parade gehört zu Zürich wie das Grossmünster. Punkt“.

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

Der Beitrag Techno, Titten und Trompeten erschien zuerst auf Stadtblog.

Hassliebe Street-Parade

$
0
0
Die alte Liebe ist tot, und lässt sich auch mit viel Alkohol nicht wiederbeleben.

Die alte Liebe ist tot, und lässt sich auch mit viel Alkohol nicht wiederbeleben.

Natürlich hassen alle, die von sich behaupten, «echte Stadtzürcher» zu sein, die Street-Parade. Sie jammern über die vielen Leute (zu Recht), behaupten von sich, dass sie an diesem Wochenende in die Berge fliehen, was – zum Glück für die Bündner und andere Fans der Zürcher – meist gelo​gen ist. Sie bemängeln die Qualität der DJs, oft, oh​ne deren Namen zu kennen. «Street-Parade ist böse» gilt als anerkanntes Hipster​-Mantra rund um die Langstras​se.

Zäh​neknirschend organisieren die Zürcher Clubs ihre Street-Parade-Specials und stecken verschämt die zusätzlichen Einnahmen dieses Wochenendes ein. Es gibt alternative Anlässe, die dem urbanen Zürcher das Gefühl geben sollen, man sei dann doch irgend​ wie anders als die anderen. Man definiert sich über die Street-Parade, so wie sich die Satanisten über die Bibel definieren.

Und witzigerweise gehen viele meiner Freunde dann doch, inkognito. Schleichen sich quasi mit bedecktem Gesicht durch die Massen und wippen ekstatisch hinter einem Baum mit dem Fuss. Trifft man sie dann an, führts zu einer peinlichen Sekunde, bevor jeder seine Entschuldigung («Ich musste eh grad quer durch die Innenstadt zum Metzger» oder «Ich zeig grad meinen Be​kannten, was wir in Zürich je​ des Jahr über uns ergehen lassen müssen») hervorbringt. Man glaubt sich und versichert sich nochmals nachdrücklich gegenseitig, dass man die Parade hasst.

Das war nicht immer so. Früher haben alle heutigen Nörgler die Street-Parade geliebt. Früher war eben alles besser. Natürlich war jeder bei der ersten Street-Para​de mit dabei. Wenn damals, am 5. September 1992, wirklich jeder um die zwei klapprigen Love-Mobiles getanzt wäre, der das von sich behauptet, wären schon damals eher 20 000 als 2000 Leute dabei gewesen.

Aber meine Generation, die Ü-40, ist sich sicher, dass der Pioniergroove, der damals herrschte, den eigentlichen Wert ausmachte, und nicht etwa das überteuerte MDMA in kleinen Kapseln mit Sonnen oder Monden drauf (das sich übrigens nach einer exzessiven und euphorischen Nacht laut einer befreundeten Apothekerin als Hustenmedikament entpuppte). Es waren auch nicht unsere eigenen Hormone, unsere eigene Selbstverliebtheit, die diesen Anlass zu einem Meilenstein in unserer individuellen Geschichte machten. Es war «die Zeit damals». Ehrenwort! Nun sind wir älter, und der Grossanlass bietet uns nicht mehr die emotionale Grösse, mit der er vor 20 Jahren unsere wach​senden Persönlichkeiten ausfüllte.

Aber eben, man schönt die ei​gene Jugend. Auch Zürcher, die erst in ihren späten Zwanzigern sind, behaupten, dass die Parade 2003 noch viel mehr «Spirit» hatte. Und wahrscheinlich wer​den die 18-Jährigen, die dieses Jahr teilnehmen, in zehn Jahren schwören, dass es 2015 noch viel spezieller war.

Es hilft, den eigenen Mythos zu erhalten, wenn man sich von der augenblicklichen Street-Para​de distanziert. Das kann man daran erkennen, dass es gerade die alten Raver und die Club-Hipster sind, die sich am klarsten vom Massenanlass abgrenzen. Weil es schmerzt, wenn sich die eigene Jugend nicht festhalten lässt und aus dem Persönlichen plötzlich «Mainstream» wird.

Überhaupt, der Pöbel spricht ja noch immer vom grössten «Techno»-Anlass (die Anführungszeichen sind beim verächtlichen Aussprechen mit den Fingern in die Luft zu malen), während die Kenner und Connaisseure von «EDM» sprechen, elektronischer Tanzmusik. Da zeigt sich der Unterschied zwischen Nightlife-Fachkräften und den Frisösen aus Süddeutschland, die sich in Bikinis auf erdölvernichtenden Riesenlastern um das Seebecken karren lassen.

Pfui.

Man feiert dieses Wochenende im engeren Kreis, also mit den gleichen 150 Leuten, die man so​ wie​ so schon jedes Wochenende im Halbdunkel der Clubs erahnen kann. Nicht, dass man morgens um Vier dann noch einen Unter​schied zwischen den beiden Arten von Feiernden ausmachen könnte. Beide sind hackedicht, und dass die einen das Dreifache für Drinks und Drogen bezahlt haben, ist nicht mehr zu erkennen.

Es ist nicht ein Unterschied der Qualität, sondern ein Unterschied des Intervalls. Während sich die einen ein ganzes Jahr zurückhalten und dann im August zwei Tage die Sau rauslassen, schwingen die anderen in einer kürzeren Frequenz, jubeln nach je​der harten Arbeitswoche «Thank God It’s Friday» und versinken dann bis Sonntagmorgen in einer elektronisch untermalten Halbwelt.

Irgend​ wie entbehrt es auch nicht einer gewissen Ironie, dass die Clubbetreiber, die ihre Nase über die Street-Parade rümpfen, nun selbst von ihren Nachbarn als «Ballermann-Partyveranstalter» kritisiert werden, weil ihre Gäste sich jedes Wochenende wie an einer endlosen Street-Parade verhalten.

Mit der Street-Parade verhält es sich ein wenig wie mit einer Ex-Freundin: Man hatte Spass mit ihr, man hat sich getrennt, und eine Weile erträgt man es nicht, wenn Neue sich an ihr erfreuen. Inzwischen ist sie älter, hat etwas zu​ genommen und wirkt in den Klamotten aus ihrer Jugend etwas vulgär. Man gönnt ihr den Spass, will aber nicht unbedingt am Strassenrand stehen und dabei zuschauen. Man wird schmerzlich daran erinnert, dass die eigene Beziehung zu ihr in eine andere Lebenszeit gehört. Oder man führt sich so peinlich auf, als ob keine Zeit vergangen wäre, und versucht, sie nochmals ins Bett zu kriegen.

Und ich? Ich mag die Street-Parade nicht. Es ist einfach nicht mehr wie früher. Aber ich mag auch die heutigen Clubs nicht, weil damals, in den illegalen Bars der 90er, war doch alles noch viel …

(Der Originaltext erschien am 30. August in der Sonntagszeitung)

Der Beitrag Hassliebe Street-Parade erschien zuerst auf Stadtblog.

Kein Bock auf Hochprozentiges

$
0
0
Teuer und weniger Absatz: Drinks im Ausgang.

Teuer und weniger Absatz: Drinks im Ausgang.

In der Spirituosenindustrie macht sich wegen der rapide sinkenden Absatzzahlen im Nachtleben panische Kopflosigkeit breit. Stellen werden gestrichen und im Akkord strategische Neuausrichtungen umgesetzt, nur um diese ein paar Monate später wieder über den Haufen zu werfen. Auch in einigen Clubbing-Segmenten herrscht Ratlosigkeit wegen zurückgehender Barumsätze, Clubs die in den Jahren zuvor auf stetig wachsende Einnahmen bauen konnten, sehen sich 2015 mit Umsatzrückgängen von bis zu 10% konfrontiert. Welches sind die Gründe für diese Entwicklung, warum werden immer weniger Longdrinks und Cocktails über die Tresen gereicht?

Fragt man bei den Betreffenden und Betroffenen nach, ist für viele erst einmal das Internet schuld. Wegen der sozialen Medien wie Facebook und Dating-Plattformen wie Tinder müssten junge Leute heute weder eine Bar noch einen Club aufsuchen um ihr Sozialleben zu pflegen: Das nächste Abenteuer ist nur ein Mausklick entfernt. Andere wiederum machen als Ursache ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein bei Jugendlichen aus. Man müsse doch nur einmal am Freitagabend in ein Fitnessstudio: Die seien voll von Zwanzigjährigen, die nach dem Training noch einen Vitaminsaft runterspülen und dann ins Bett gehen, um am Samstag wieder zeitig auf dem Laufband stehen zu können.

Wiederum Andere sind der Meinung, das Problem sei hausgemacht. Zum einen seien die Preise in den Clubs und Bars schlicht zu hoch, sodass sich ein Zwanzigjähriger diese gar nicht mehr leisten könne. Andererseits seien Menschen unter 21 Jahren vom Nachtleben ausgeschlossen, würden nicht in die Clubs gelassen und damit auch nicht früh genug ins Nachtleben eingeführt. Wenn sie dann endlich alt genug seien um Clubs zu besuchen, hätten sie ihre Prioritäten längst anderweitig gesetzt. Diesen Funktionalitäten stehen Clubbetreiber und Veranstalter etwas hilflos gegenüber, da die Clubber nach immer noch teureren DJs verlangen (die ja irgendwie bezahlt werden müssen). Und weil sich erwachsene Gäste die Tanzfläche nicht mit Teenagern teilen mögen, sind die Clubs genötigt ein hohes Mindestalter zu führen.

Dies sind nur ein paar der angeführten Gründe für die sinkenden Absatzzahlen bei den Spirituosen in Bars und Clubs, die generelle Veränderung beim Ausgehverhalten  – zuhause «vorglühen» und erst auf zwei Uhr nachts tanzen gehen – ist ein weiterer.

Trotzdem ist Panik unangebracht. Nicht erst seit gestern, sondern seit Jahrhunderten frönt die Jugend dem geselligen Feiern und kein Chatroom dieser Welt kann auf Dauer die nette Runde mit Freunden ersetzen. Und vielleicht hat diese Entwicklung gar etwas Gutes: Reine Tränken mit 08/15-Beschallung haben ausgedient. Clubs und Bars sind gezwungen die Gastfreundschaft zu kultivieren und ihren Gästen das Besondere zu bieten, seien dies nun gute Konzerte, exklusive DJ-Sets oder andere Anreize mit denen man sich einen Vorteil gegenüber den Mitbewerbern verschafft.

Aus der Goldgrube Nachtleben ist endgültig ein «survival of the creative» geworden. Und daran ist eigentlich nichts auszusetzen.

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

Der Beitrag Kein Bock auf Hochprozentiges erschien zuerst auf Stadtblog.

Goodbye Kinski Klub

$
0
0
Der letzte grosse Klub, der noch Gitarrenmusik zum Tanzen lieferte.

Der letzte grosse Klub, der noch Gitarrenmusik zum Tanzen lieferte.

Das Kinski an der Langstrasse wird auf Ende Jahr schliessen. Gemäss den Betreibern sei unter anderem das Geschäft mit Live-Konzerten nicht rentabel genug. Die Reaktionen auf die Schliessungsankündigung fielen bei den Stammgästen bisweilen emotional aus, wie beispielsweise jene der Schauspielerin Jessica Matzig: «Das Kinski macht zu. Mein Herz ist gebrochen. Ich frage mich: Was ist das Problem? Wieso können sich solche Clubs nicht über Wasser halten? Wo sind die ganzen Leute die auf gute Musik stehen?».

Auch Oliver Zemp, Mitinhaber des letzten grösseren Gitarren-Clubs in Zürich, des Abart, nimmt die Schliessung mit Bedauern zu Kenntnis. Zemp, der heute am Restaurant Korner, an der Hafenkneipe und an der El Dorado-Bar beteiligt ist, wird jedoch nicht primär das Konzertlokal Kinski vermissen, sondern die Partylocation Kinski: «Clubs in denen Rock- und Popkonzerte veranstaltet werden gibt es in Zürich genug. Neben dem Mascotte fallen mir da auch das Plaza, das Helsinki, das Dynamo, unsere Hafenkneipe und noch einige mehr ein. Was in Zürich nach dem Wegfall des Kinski jedoch fehlen wird, ist ein Club in dem man zu Gitarrenmusik tanzen kann».

Clubber mit Faible für tanzbaren Rock und Pop aus dem Alternativbereich haben in Zürich derzeit tatsächlich nicht viel zu feiern. Seit der Schliessung des Abart im September 2012 fehlt ein grösserer Gitarrenclub (das Abart bot 500 bis 600 Gästen Platz). Zemp ist jedoch der Meinung, dass ein Club dieser Grössenordnung sowieso nicht mehr funktionieren würde: «Als wir das Abart geschlossen haben, arbeiteten wir zwar noch immer mit grossem Erfolg, jedoch konnten wir in den letzten zwei Jahren vor dem Aus eine leichte Abwärtstendenz feststellen, die sich wohl weiter fortgesetzt hätte. Dieser Niedergang lag und liegt vor allem in einer generellen und globalen Krise im Bereich der Rockmusik».

Das Internet und die illegalen Downloads hätten die Majorlabels vernichtet. Zwar seien diese immer bei allen verhasst gewesen, bloss hätte man irgendwann festgestellt, dass die ungeliebten Majors halt doch viel Geld in spannende Newcomerbands und –trends gesteckt hätten. Diese Förderung würde nun fehlen. Dazu komme, dass mit den Majors auch die grossen Musikzeitschriften untergegangen seien oder zumindest viel von ihrer Bedeutung eingebüsst hätten. All die Musikblogs können diese Lücke nicht füllen, seien meist nur flüchtig und oft schlecht gemacht. Zudem gäbe es tausende von ihnen und Interessierte wüssten gar nicht wo sie sich informieren sollen.

All diese universellen Entwicklungen üben nun einen unmittelbaren Einfluss auf das Zürcher Nachtleben aus. Die elektronische Musik hat das Zepter endgültig übernommen. Dennoch glaubt Zemp, dass in Zürich ein Gitarrenclub mit einem Fassungsvermögen von ca. 200 Gästen durchaus gute Chancen hätte zu bestehen: «Ich selbst mag nicht mehr. Aber wenn da ein paar junge Hungrige kommen würden, wäre ich durchaus bereit ihnen meinen Erfahrungsschatz zu Verfügung zu stellen».

Alex-Flach1Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

Der Beitrag Goodbye Kinski Klub erschien zuerst auf Stadtblog.

Viewing all 92 articles
Browse latest View live




Latest Images